Der Bürgerkanal TIDE feierte sein 20. Jubiläum mit einem abwechslungsreichen Programm. Sigrun Clausen vertrat bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Was macht Journalismus professionell?” den Wilhelmsburger InselRundblick, der in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert
TIDE wurde 2004 nach der umstrittenen Einstellung des Offenen Kanals Hamburg als dessen Nachfolger gegründet. Als gemeinnütziger Bildungs- und Ausbildungskanal hat TIDE in den Bereichen Fernsehen und Radio Angebote für Auszubildende und Praktikant*innen und führt in Ferienakademien Schüler*innen an die Arbeit mit Medien heran.
Seit 2021 bietet TIDE im Rahmen seines Projekts „Hyperlokaljournalismus” eine Zusammenarbeit mit Stadtteilmedien an. Seit der Zeit ist der WIR Kooperationspartner des Bürger*innenkanals. Über unsere Zusammenarbeit mit TIDE haben WIR verschiedentlich berichtet.
Was macht Journalismus professionell?
Beim Jubiläum in den TIDE-Räumen auf der Finkenau gab es neben Workshops, Vorträgen und kulturellen Einlagen verschiedene Podiumsdiskussionen. An einer Diskussion, die die Frage „Was macht Journalismus professionell?” zum Thema hatte, nahm unsere Kollegin Sigrun Clausen teil. Unter den Podiumsteilnehmer*innen, dem Medienjuristen Jonas Kahl, Marina Friedt vom Deutschen Journalisten Verband (DJV) und Hansjörg Schmidt, medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft, war der WIR als einziges Lokal-Medium vertreten und hatte sozusagen die Hauptrolle.
Gegenstand der Diskussion war die Frage, inwieweit das gängige Bild von einem*r „Journalist*in” noch der Realität journalistischer Tätigkeit entspricht. Nach wie vor erhalten zum Beispiel den Mediengesetzen folgend ausschließlich hauptberufliche Journalist*innen einen Presseausweis, der von den Verbänden ausgegeben wird und als Quasi-Legitimation gilt. Die „Hauptberuflichkeit“ ist dabei durch das Einkommen definiert – der Hauptanteil des Lebensunterhalts der Person muss aus der journalistischen Arbeit stammen. Personen, die z. B. in Teilzeit, als Blogger*in oder ehrenamtlich journalistisch arbeiten, wird der Ausweis in der Regel verweigert.
Die Zeitungslandschaft ist im Wandel
In der Diskussion wurde deutlich, dass „Journalismus” gegenwärtig einem großen Wandel unterworfen ist. Das Internet bietet allen, die das möchten, die Möglichkeit, sich als Blogger*in einzubringen oder sich an Foren zu beteiligen. Nicht wenige Vereine und Einrichtungen haben besonders in den Corona-Jahren ihre Homepage zu ausführlichen Nachrichtenseiten über ihre eigenen Angelegenheiten entwickelt.
Auf der anderen Seite stehen der galoppierende Konzentrationsprozess der Medienunternehmen und der große Auflagenschwund der gedruckten Zeitungen. In der Folge haben immer mehr Print-Zeitungen ihr Erscheinen eingestellt. Jüngstes Beispiel ist die Hamburger Morgenpost, deren gedruckte tägliche Ausgabe vor einigen Tagen nach fast 75 Jahren zum letzten Mal erschien. Diese Entwicklung bedeutet den Verlust von vielen Arbeitsplätzen und macht es für Journalist*innen immer schwerer, ihre Arbeit als Brotberuf auszuüben und ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen.
Unter den Diskussionsteilnehmer*innen herrschte Einigkeit, dass bei Gesetzgebern und Verbänden angesichts dieser Entwicklung neue Kriterien gefunden werden müssen, um dem erweiterten Bereich journalistischer Arbeit gerecht zu werden. Professionalität ist nicht mehr ausschließlich mit Hauptberuflichkeit gleichzusetzen. Marina Fried verteidigte die Praxis des DJV, sagte aber, es sei immer schwieriger geworden, die Kriterien für die Ausweisvergabe abzuwägen.
Einig waren sich die Diskutierenden auch darüber, dass es schwierig ist, neue Kriterien für „Professionalität” zu finden. Sigrun Clausen wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass immer häufiger eine ungute Vermischung von Journalismus und PR-Arbeit zu beobachten sei. Die Trennlinie zwischen Journalismus und PR zu kennen und sie auch zu ziehen, sollte ihrer Ansicht nach ein wesentliches Merkmal professionellen journalistischen Arbeitens sein.
Kleine Lokalzeitungen werden von der Politik nicht ernst genommen
Sigrun Clausen machte außerdem deutlich, dass für den Inselrundblick als Hyperlokalzeitung die Verweigerung des Presseausweises nicht das Hauptproblem darstelle. Die WIR-Redakteuer*innen seien in unterschiedlicher Weise in den Stadtteil eingebunden und hätten zu allen Institutionen und Veranstaltungen Zugang. Auch sei es in der Regel unkompliziert, zum Beispiel bei Presseterminen des Bezirks oder des Senats eine Akkreditierung zu erhalten. Gravierender sei, dass kleine Non-Profit-Lokalzeitungen in der Pressepolitik nicht wirklich anerkannt würden. Die Inselrundblick-Redaktion erhalte oft Lob für ihre ehrenamtlich professionell gemachte Zeitung. Und die Bedeutung der Lokalpresse für die Demokratie werde in Sonntagsreden immer wieder hervorgehoben, doch praktisch folge daraus nichts. Es gebe keine geregelte finanzielle Unterstützung der Arbeit und nach geltendem Gemeinnützigkeitsrecht sei der WIR als eingetragener Verein auch nicht als gemeinnützig anerkannt. Daher sei der Zugang zu Fördermitteln, Stiftungen und Spendengeldern für die Stadtteilzeitung nahezu verschlossen.
Zur Reformierung des Gemeinnützigkeitsrechts gebe es eine aktuelle Debatte in Berlin, berichtete Moderator Malte Werner vom Netzwerk Recherche zum Schluss, aber das Ergebnis werde voraussichtlich enttäuschend sein.
Der WIR gratuliert TIDE zum 20. Geburtstag und freut sich auf weitere gute Zusammenarbeit.