„Heideblume“ in der Degenerationsphase

Ein Schiff liegt mit starker Schlagseite halb versunken in einem Gewässer, darum herum eine Ölsperre, im Hintergrund hohe Weiden
Die „Heideblume“ versinkt im Veringkanal, August 2024. Fotos: J. Domnick

Seit letztem August hat der Veringkanal eine neue „Attraktion“: Das Hausboot „Heideblume“ ist gesunken und liegt seither in Schieflage vor dem Soulkitchen-Gelände

Mitarbeit: B. Lange. Als das schöne, aber in die Jahre gekommene Schiff immer mehr Schlagseite bekam, galt die erste Sorge der Wilhelmsburger*innen dem langjährigen Bewohner Flo. Konnte er sich rechtzeitig in Sicherheit bringen? War er jetzt obdachlos? Und hatte er Geld für die täglichen Dinge des Lebens, die zusammen mit seinem Zuhause untergegangen oder von der Reling gefallen waren?

In den großen Telegrammgruppen des Stadtteils wurden Menschen gesucht, die Flo kennen, eine Spendenaktion angedacht und nach einer Unterbringung für ihn gesucht. In Flos Stamm-Kiosk konnten direkt Sachspenden abgegeben werden. Schon zwei Wochen nach der Havarie sagte Flo, er sei gut versorgt, habe ein Zimmer bekommen, er schaue trotz allem positiv aufs Leben und genieße den Sommer. Aktuell brauche er nichts Bestimmtes mehr, war aber sehr gerührt davon, wie viele Menschen sich für ihn engagierten.

Eine weitere Sorge trieb jedoch Naturschütz*innen um: Wer sorgte dafür, dass keine Umweltgifte ins Wasser gelangten? Und wieso entfernte niemand die Gegenstände, die nach und nach in den Veringkanal fielen? Immerhin war nach einiger Zeit eine sogenannte Ölsperre, also eine schwimmende Barriere, um die „Heideblume“ herum zu sehen. In den nächsten Wochen bekam sie immer mehr Schlagseite, bis sie schließlich im Schlick stecken blieb. Bis heute, Stand März 2025, hat sich an diesem Zustand nichts geändert. WIR haben uns auf Ursachenforschung begeben.

Lebensweise der „Besenheide“ (auch bekannt als „Heideblume“)

„Es lassen sich charakteristische Lebenszyklen von Calluna vulgaris unterscheiden (…): In der Pionierphase wächst die Besenheide sehr lückig und erreicht nur selten Wuchshöhen von 10 bis 15 cm. In der Aufbauphase wird nach und nach eine fast vollständige Deckung erreicht, die Blüte ist sehr üppig, die Pflanzen werden bis zu 40 cm hoch. Diese Phase ist für Schafhaltung, Imkerei und Tourismus am günstigsten. In der Reifephase verholzt die Calluna zunehmend (…), Moose und Gräser dringen zunehmend ein. In der Degenerationsphase sterben die Pflanzen von der Mitte her ab, können sich aber gleichzeitig an aufliegenden Zweigen neu bewurzeln. Es entstehen typische ringförmige Strukturen mit zentraler Lücke.“ (Quelle: Wikipedia)

Hermann Kemper ist Vorstand der Wassergenossenschaft der Anlieger des Veringkanals. Als Eigentümerin des Kanals hat die Genossenschaft die Aufgabe, die Unterhaltung des Kanals in allen seinen Bestandteilen sicherzustellen, den Schiffsverkehr auf dem Kanal zu regeln sowie bedarfsgerechte Wasserentnahmen zu gewährleisten. Im Telefonat mit Kemper wird deutlich, dass die „Causa Heideblume“ nicht erst mit deren Sinken begonnen hat: 2004 hatte Flo von der Wasserbehörde die Erlaubnis bekommen, sein Schiff im Kanal am Grundstück der Industriestraße 107 festzumachen. Er wollte es dort reparieren, um später damit herumschippern zu können, so Kemper. Voraussetzung dafür war die Erlaubnis und somit auch die Haftung der damaligen Grundstückseigentümer. Eine Konsequenz aus früheren Erfahrungen mit Schiffshaltern, die sich finanziell oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr um ihr Hausboot gekümmert hatten. Mehr als ein Jahrzehnt gehörte das bunt angemalte Schiff zum gewohnten Ensemble, ein Hingucker für die zahlreichen Spaziergänger*innen.

Havarie mit Ansage – Anliegergenossenschaft sind die Hände gebunden

Doch 2016 oder 2017, so genau weiß Hermann Kemper das nicht mehr, war es vorbei mit der Idylle. Er berichtet, Flo sei damals den Aufforderungen, Schwimmfähigkeits- und Versicherungsnachweis vorzuweisen, nicht nachgekommen. In einem Gespräch mit dem WIR entgegnet Flo, die „Heideblume“ habe gar nicht schwimmen können gemusst. Seiner Auffassung nach sei die Erlaubnis der angrenzendes Grundstückseigentümerin, laut Flo damals die Sprinkenhof GmbH, ausreichend gewesen, wie in §27 der Hafenverkehrsordnung beschrieben.

Die Anliegergemeinschaft kündigte auf Anraten der Wasserbehörde daraufhin die Liegeerlaubnis für die „Heideblume“ und wandte sich, als nichts geschah, an die HWS Immobilienverwaltung, die das Grundstück Industriestraße 107 inzwischen gekauft und damit die Haftung für das Schiff übernommen hatte. Doch diese stritt ab, jemals von dieser Verantwortung gehört, geschweige denn, sich damit einverstanden erklärt zu haben.

Das Bezirksamt Hamburg-Mitte erklärt dazu über ihre Pressestelle: „Grundsätzlich ist der Eigentümer des Bootes für die Bergung zuständig und auch für eventuell entstandene Umweltschäden. Ist wie in diesem Fall der Eigentümer nicht auffindbar, ist der Eigentümer der Gewässerfläche hierfür heranzuziehen. Der Veringkanal ist in Besitz einer privaten Genossenschaft.“ Wer vor der HWS Eigentümer*in des Grundstücks war, möchte das Bezirksamt „aus datenschutzrechtlichen Gründen beziehungsweise wegen des laufenden Verfahrens“ nicht beantworten.

Flo bewegte das Schiff daraufhin ein paar Meter weiter, so dass es nun halb am Grundstück der HWS, halb an dem der Soulkitchenbrache (im Besitz der Stadt Hamburg, verwaltet von der Sprinkenhof GmbH) lag. Doch die Sprinkenhof war nicht einverstanden, Flo bekam eine Räumungsaufforderung. Wieder passierte nichts, bis sich die „Heideblume“ im letzten Jahr losriss und herrenlos im Kanal umhertrieb. Feuerwehr und Wasserschutzpolizei fingen sie wieder ein und vertäuten sie am alten Liegeplatz. Anfang August ’24 schließlich begann das Schiff zu sinken.

Ein halb versunkener Kahn liegt mit starker Seitenlage in einem Gewässer. Das Dach ist vermosst, im Hintergrund kahle Weiden vor grauem Himmel
Im Dezember ’24 liegt das Schiff noch immer im Kanal

„Ich war machtlos gegen den Zahn der Zeit“, sagt er. Denn: Viele wichtige Dichtungen seien porös gewesen, aber er sei kein Fachmann und ihm hätte das Geld gefehlt, um sie austauschen zu lassen.

Man hört Hermann Kempe an, dass er das havarierte Schiff gerne so schnell wie möglich bergen lassen würde. Aber: Der Wassergenossenschaft der Anlieger des Veringkanals seien die Hände gebunden, denn die Wasserbehörde müsse Flo schriftlich dazu auffordern, eine Erklärung abzugeben. In dieser müsste er bestätigen, dass er finanziell nicht in der Lage ist, sich um die Bergung der „Heideblume“ zu kümmern und etwaige Rechtsansprüche auf das Schiff und alles was noch darauf ist aufgibt. Erst dann dürfe die Anliegergemeinschaft tätig werden, das habe ihnen auch ein Anwalt bestätigt.

Die Pressestelle des Bezirksamt möchte das (aus oben genannten Gründen) weder bestätigen noch dementieren. Kemper sagt, die Anliegergemeinschaft habe Flo nicht erreichen können, denn der habe immer wieder verschiedene Postanschriften angegeben, von denen die Briefe jedoch zurückgesendet wurden, weil er dort nicht lebte. Der Vollstreckungsbescheid sei ihm aber im Beisein der Polizei übergeben worden.

Auch die Pressestelle des Bezirksamtes bestätigt, das Boot sei bisher nicht geborgen worden, da der Eigentümer des Bootes keinen gemeldeten Wohnsitz habe und die öffentliche Zustellung ebenfalls zu keinem Ergebnis geführt habe. 

Flo dagegen behauptet, er warte bis heute auf eine behördliche Antwort auf die Frage, wie teuer die Bergung wäre, damit er die Kosten bei seiner Versicherung einreichen könne. Er habe auch bei der Rentenversicherung beantragt, seine Gesamtrente auf einmal ausgezahlt zu bekommen, um für die Kosten aufzukommen und sich mit dem Rest seine Existenz zu sichern. Da sei aber „nichts bei rausgekommen“. Traurig sei er vor allem über den Verlust von ideellen Werten, die mit dem Schiff versunken oder unbrauchbar geworden seien. Darunter eine alte Honda und persönliche Fotoalben.

Keine Gefahr für die Umwelt

Und so sorgt das halb im Wasser versunkene Schiff weiter für Gesprächsbedarf im Viertel. Eine gute Nachricht gibt es jedoch: Ein Umweltdesaster müsse nicht befürchtet werden, denn eine Fachfirma habe die „Heideblume“ so gesichert, dass sie nicht weiter abrutschen könne. Auch alle bedenklichen Schadstoffe habe diese „so gut es geht“ gesichert, versichert Kemper. Der Motor sei ebenfalls ausgebaut worden. Das Bezirksamt ergänzt, es erfolgten regelmäßige Kontrollen.

Wer weiß, vielleicht hat die „Heideblume“ bereits neue Wurzeln geschlagen und die Wasservögel freuen sich sicherlich über den neuen Nistplatz.

Ein halb gesunkenes Schiff in einem Kanal. Blauer Himmel und leicht grüne Weiden im Hintergrund.
Die „Heideblume“ wird zum Vogelnistplatz. April 2025.

Ein Gedanke zu “„Heideblume“ in der Degenerationsphase

  1. Liebes WIR-Team,

    vielen Dank für den guten und ausführlichen Artikel zur Havarie des festgemachten und ökologisch sanierten Wracks „Heideblume“ im Veringkanal.

    Aus gewässerökologischer Sicht ergeben sich zu dem Schaden jedoch noch diverse Fragen:

    – Ist diese Havarie der Grund für den erheblich abgesenkten Wasserspiegel des Kanals, „zufällig“ seit der Zeit? (Deutlich sichtbar an der Vegetation der Gewässerränder, insbesondere sehr anschaulich an den Wänden des Atelierhauses ’23, am Veringhof und am Überlauf am nördlichen Ende des Veringkanals.)

    – Gibt es dazu fachliche Stellungnahmen der zuständigen Verwaltung des Bezirksamtes, der Umweltbehörde oder der Kanalgenossenschaft der Anlieger, u.a. zu möglichen, auf die Flora und Fauna wirkende Beeinträchtigungen, wie Austrocknung oder Eutrophierung durch abgeschnittene Zuflussstellen im Bereich der angelegten Auen am Dursun-Akçam-Ufer –
    – und insbesondere zur Bedrohung der Fortpflanzung der Lurchartigen, wie Frösche, Kröten und Molche, die auf diese Laichgewässer gerade in dieser Jahreszeit existentiell angewiesen sind? Von den Uferpflanzen, den Fischen (in Bezug auf den Sauerstoffgehalt des Kanals und der Auenwässer), sei an dieser Stelle einmal ganz abgesehen.

    – Ließe sich kurzfristig und unbürokratisch, nämlich durch Schleusenregulation durch die Kanalgenossenschaft, die bedrohliche Lage für Vegetation und Tiere verbessern?

    – Darf das höhere Gut der „Rechte der Natur“ wegen Streitigkeiten um die Bergungskosten eines bereits „ökologisch sanierten Wracks“ oder um die bessere Zugänglichkeit für Bergungungsarbeiten oder um die Sicherung vor dem Abrutschen des Wracks, dauerhaft beschädigt werden?

    Ihr Zugang als Redaktion zu den mit dem Fall befassten Stellen, wie ja Ihre sehr gute Berichterstattung zeigt, ist sicherlich einfacher und schneller. Deshalb zum Schluss meine letzte Frage: Können Sie sich kurzfristig mit den zuständigen Stellen in Verbindung setzen und auf das Problem hinweisen?

    Herzliche Grüße
    Jürgen Baumann

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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