Bedroht sind nicht nur kulturelle Freiräume: Soulkitchen – abgerissen! Alter Lidl – abgerissen! SoulBrache – kulturelle Nutzung verweigert! Gewerbe am Veringhof – verdrängt! Sozialkaufhaus – geschlossen! WilderWald – bedroht!
Dies sind nur einige der Bedrohungen für das Reiherstiegviertel, die der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg am 8. Oktober 2024 in seiner Stellungnahme zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 13. September 2023 „Nutzungsmöglichkeiten Soulkitchen Halle und Entwicklung kulturell nutzbarer Areale in Wilhelmsburg” (Drucksache 22/12935) veröffentlichte.
„Es scheint, als führe der Senat derzeit einen Kampf gegen ein kulturelles, ökologisches und soziales Wilhelmsburg“, so die Initiative Kulturkanal, die am Freitag auf dem Stübenplatz zur Demonstration (WIR 15.10.24) für den Erhalt kultureller Freiräume in Wilhelmsburg aufruft.
Soulkitchen-Halle und SoulBrache
Vor 13 Jahren forderte der damalige Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD, heute Bundestagsabgeordneter) ein Konzept zur Weiterentwicklung des Wilhelmsburger Kulturkanals (Veringkanal). Den Begriff Kulturkanal prägte sein Amtsvorgänger Andy Grote (SPD, heute Innen- und Sportsenator in Hamburg). Zunächst war es nur um eine Vor-Machbarkeitsstudie gegangen. Aber schon damals erklärte Droßmann: „Nicht alle Brachen lassen sich einfach überplanen. Die Westseite des Kanals ist im Bebauungsplan als Industriegebiet ausgewiesen, das können wir leider nicht ändern.“ (Quelle: Hamburger Abendblatt vom 20.7.2021). Eine Änderung des Bebauungsplans wäre jedoch durchaus möglich, wie zum Beispiel die HafenCity oder das neue Quartier Grasbrook zeigen – wenn der politische Wille da wäre.
Nach der Nutzung der alten Lagerhalle 2009 als Kulisse für Fatih Akins Film Soul Kitchen wurde die Halle unter diesem Namen bekannt. Danach fanden dort bis 2013 verschiedene kulturelle Veranstaltungen statt, bis für die Soul Kitchen das Aus kam. Sie galt als einsturzgefährdet. Obwohl es viele Ideen von Kulturschaffenden zur Nutzung der Halle und des Geländes gab, wurden keine davon umgesetzt. Das Gebäude verfiel weiter und ein Gutachten aus dem Juli 2022 ergab, dass ein Teil des Daches eingestürzt und das Eisenfachwerk teilweise durchgerostet ist. Vorschläge, entweder die Halle zu versetzen oder weniger beschädigte Teile des Eisenfachwerks in einen Neubau zu integrieren, weist der Senat aufgrund der hohen Kosten ab.
Die Initiative KulturKanal nutzte das Gelände, die sogenannte Soulbrache, inoffiziell aber geduldet bis 2022. Diese Zwischennutzung des Geländes wurde jedoch durch die Errichtung eines massiven Bauzauns und das Einschalten eines Sicherheitsdienstes verhindert, das Nutzungskonzept der Initiative abgelehnt (WIR 22.6.22). Auch die Unterstützung der Linken in der Bürgerschaft konnte nicht helfen (WIR 16.10.23).
Laut der jetzigen Stellungnahme des Senats ist eine Genehmigung, die Soulbrache für eine temporäre Freiflächen-Nutzung zu erteilen, wirtschaftlich nicht vertretbar: Sollten Veranstaltungen auf dem Gelände stattfinden, müssten die Uferbefestigungen am Veringkanal saniert werden. Zudem wären Kampfmittelsondierungen und die Sanierung der stark mit Schwermetallen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) belasteten Altlasten notwendig.
Diese enormen Kosten würden jedoch bei der gesetzlich festgelegten Nutzung durch Industriebetriebe ebenso anfallen. Die Frage bleibt also: Wer wird die Sanierung bezahlen?
Gewerbeflächen Am Veringhof 1 bis 7 (Zinnwerke)
Die Halle Am Veringhof 7, in der bis zum Winter 2022/23 auch der Flohzinn stattfand, gilt als standsicher und soll erhalten bleiben. Laut einem Gutachten von 2013 wären rund acht Millionen Euro für die Sanierung erforderlich. Der Entwurf eines Betriebskonzepts der Zinnwerke e.V. wird derzeit geprüft. Zudem finden Untersuchungen zur Standsicherheit und zur Pfahlgründung statt. Für diese beiden Maßnahmen wurden bereits 600.000 Euro bewilligt (WIR 3.5.24).
Gewerbeflächen Am Veringhof 1-6 (Alter LIDL und Werkstätten)
Eine Instandsetzung der alten Fabrikhalle, die früher von Lidl genutzt wurde, wird hingegen als unwirtschaftlich eingestuft und die Halle soll abgerissen werden. Für die Flächen, auf denen noch ein Auto- und ein Reifenhändler ansässig sind, gibt es laut Senat bereits zwei Bieter. Im März 2023 stellte REWE ein Konzept für einen Food Campus vor und Anfang dieses Jahres präsentierte auch Edeka ein Konzept. Beide Konzepte sahen eine Integration der alten Halle bzw. mindestens den Erhalt der Front des alten Gebäudes vor.
Die Stellungnahme des Senats ist für Wilhelmsburg ernüchternd. Sie bedeutet weitere Industrie im Westen der Insel, wo es bereits erhebliche Geruchs- und Verkehrsbelästigungen gibt. Zudem ist sie ein Schlag ins Gesicht für viele, die sich seit Jahren für eine „Kultur von unten”, unkommerziell und für alle zugänglich, im Reiherstiegsviertel einsetzen. Der Ruf der Elbinsel, der sich seit der IBA und der igs 2013 verbessert hatte, droht durch zusätzliche Industrie und den Bau einer weiteren Stadtautobahn wieder zu leiden. Hinzu kommt, dass die einst grüne Insel zunehmend versiegelt wird.
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