Der Stein des Anstoßes

Am 19. Juli wurden auf den Gehwegen vor dem gedrehten Kriegerdenkmal an der Emmauskirche erklärende Schriften aufgebracht. Es ist der zweite Schritt zur Fertigstellung der Installation einer kritischen Kommentierung des alten Denkmals von 1932

Eigentlich sollten die Schriften – die kritische Kommentierung des Kriegerdenkmals an der Emmauskirche – schon Ende Mai auf der Mannesallee aufgebracht werden. Aber einmal fehlte noch das Material und dann machte das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Am 19. Juli war es nun so weit. Drei Mitarbeiter einer Firma für Bodenmarkierungen brachten nach den Vorgaben der Künstlerin Vera Drebusch in farbigen großen Buchstaben das Wort „DENKEN” und verschiedene Vorsilben auf dem Gehweg vor dem Denkmal auf. Sie sollen zum „NACH-DENKEN“ über das Kriegerdenkmal anregen.

Der Diskussionsprozess begann vor über sechs Jahren

Im Vorgerund in großen gelben Buchstaben auf dem Gehweg die Vorsilbe um- und im Hintergrund in gelb die Silbe ver-.
NACHDENKEN über das Kriegeredenkmal.
Foto: H. Kahle

Nur noch wenige Wilhelmsburger*innen werden sich erinnern: Ende 2017 wurde das bis dahin hinter Buschwerk verborgene Kriegerdenkmal an der Emmauskirche im Zuge von Bauarbeiten freigelegt und kurz darauf mit einem antifaschistischen Graffito besprüht. Infolge der Aufregung über das umstrittene Denkmal und die ebenso umstrittene Sprühaktion hat sich eine Gruppe aus Vertreter*innen der Reiherstieggemeinde, der Wilhelmsburger Geschichtswerkstatt und engagierten Bürger*innen mit der Geschichte dieses „Steins des Anstoßes” beschäftigt und Vorschläge erarbeitet, wie dessen nationalistische und militaristische Botschaft „gebrochen“ werden kann. Der öffentliche dokumentierte Diskussionsprozess dauerte mehrere Jahre. Er wurde durch die Corona-Pandemie noch einmal verzögert.

Das Ergebnis dieses Prozesses war eine „künstlerische Intervention”: Die Drehung des Denkmals in Richtung der Stolpersteine vor dem gegenüberliegenden Leipelt-Haus und eine in die Straße eingelassene Linie zwischen Denkmal und Stolpersteinen als optische Verbindung sowie das Aufbringen einer Beschriftung, die zum Nachdenken anregen soll. Mit diesem Konzept hatte das Künstlerduo Vera Drebusch und Reto Buser den von der Gruppe ausgeschriebenen Wettbewerb 2022 gewonnen. (Der WIR hat regelmäßig über den Diskussionsprozess berichtet.)

Das Denkmal und das Hamburgische Wegegesetz

Die Verhandlungen mit den Behörden über das Aufbringen der Linie und der Schriften zogen sich dann über ein Jahr hin und sind bis heute nicht endgültig abgeschlossen. Die Behörden behindern die Fertigstellung der Instellation vor allem mit Verweis auf das Hamburgische Wegegesetz.

Das Künstler*innenduo hat den Entwurf im Verlauf der Auseinandersetzung mehrfach überarbeitet. Das Zwischenergebnis ist jetzt die auf dem Gehweg vor dem Denkmal und vor den gegenüberliegenden Leipelt-Stolpersteinen aufgebrachte Beschriftung. Auf dieser Grundlage wollen Vera Drebusch und Reto Buser neu mit den Behörden über die Linie auf der Fahrbahn verhandeln. Diese optische Verbindung ist ein unverzichtbares Kernelement der Installation.


Die Brechung der militaristischen Botschaft ist brandaktuell


In einem Bericht Anfang dieses Jahres schrieben WIR: „ Die Idee, mit einer kritischen Installation die militaristische Botschaft des Denkmals zu brechen, hatte damals vor allem einen historischen Bezug. Dass die Idee heute in Deutschland, wo Kriegstüchtigkeit wieder eine Tugend sein soll, ein Veteranentag eingerichtet wird und der Traditionserlass der Bundeswehr neuerdings Nazi-Generäle aufgenommen hat, brandaktuell werden würde, konnte damals keiner ahnen” (WIR 17.1.24).

In einer aktuellen Presseerklärung der Denkmal-Gruppe zur Aufbringung der Schrift heißt es: Das Verb denken und seine Vorsilben sollen Hilfestellung leisten, um einen persönlichen Zugang zum komplexen Themenkreis der Erinnerungskultur zu erleichtern und um sich schließlich eine eigene Meinung zu bilden.


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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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