Nun doch: „Neuer Ruf“ reagiert auf Kritik an AfD-Anzeigen

Vor schwarzem Hintergrund steht mit weißer Schrift in Großbuchstaben geschrieben: "Hass ist keine Meinung". Verteilt über das Bild (als Design) sind sin gelber Halbkreis, ein blauer Kreis und ein rotes Herz
Bild: https://verlagegegenrechts.de/plakate-gegen-rechts

Nach dem Abdruck einer ganzseitigen Jubiläums-Gratulation der AfD-Fraktion Harburg ist der Druck auf die Lokalzeitung für den Süderelberaum anscheinend zu groß geworden

Adrian* von der offenen antifaschistischen Plattform Wilhelmsburg (OAP) freut sich: „Antifaschistische Aktion wirkt! Endlich reagiert der ‚Neue Ruf‘ auf die Kritik aus dem Stadtteil.“ Der Anlass seiner Freude ist eine Stellungnahme, die das Lokalblatt für den Hamburger Süden am 17. Mai in eigener Sache veröffentlicht hat (NR, Ausg. Wilhelmsburg, 17.5.25, S.5). Darin schreiben die Verantwortlichen des „Neuer Rufs“ (NR), sie würden künftig keine Anzeigen der AfD mehr annehmen. Der Verlag (oder die Redaktion, das geht aus dem Artikel nicht hervor) begründet den Schritt mit der Einstufung der Partei als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz. Bezug nimmt die Einlassung aber vor allem zu einer Intervention der OAP.

Eine abfotografierte Zeitungsseite mit einer Anzeige der AfD-Fraktion Harburg, die dem Neuen Ruf gratuliert. Im Hintergrund Feuerwerk und eine große 75
Auslöser für die erneute Kritik: Anzeige der AfD-Fraktion Harburg im Neuen Ruf v. 26.4.25, Jubiläumsbeilage

Adrian erklärt: „In der Wilhelmsburger Ausgabe vom 26. April hat der ‚Neue Ruf‘ sein 75-jähriges Bestehen mit einer Sonderbeilage gefeiert. Darin hat er eine ganzseitige Anzeige der Harburger AfD-Fraktion abgedruckt. Mit ihr hat die AfD der Zeitung nicht nur gratuliert, sondern sich auch noch für ‚die neutrale Berichterstattung seit 2013‘ bedankt und sich ‚auf die weitere konstruktive Zusammenarbeit mit dem Neuen Ruf‘ gefreut. Wir haben uns sehr geärgert, dass der ‚Ruf‘ es anscheinend nicht lassen kann, rechtsextreme Positionen zu normalisieren und damit auch noch Geld zu verdienen.“

Deshalb haben Adrian und seine Mitstreiter*innen E-Mails an alle etwa einhundert Anzeigenkund*innen, Vereine, Institutionen und Organisationen geschrieben, die in den letzten Wilhelmsburger Ausgaben des NR erschienen sind. Die Redaktion des NR hat die E-Mail unter ihrer Stellungnahme aus Transparenzgründen veröffentlicht, auch WIR schließen uns diesem Vorgehen an.

Metin Hakverdi und Melanie Leonhard (beide SPD) sowie der Ortsverband Elbinseln der CDU haben ebenfalls Post von der OAP bekommen. Denn: Laut NR (Ausgabe Wilhelmsburg 18/2025) gehörten erstere zu den prominenten Gratulant*innen auf der Jubiläumsfeier des Blattes. Leonhard wird dort u.a. mit der Aussage zitiert: „Seit Jahrzehnten leistet der ‚Neue Ruf‘ einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung, Teilhabe und Stärkung unsere demokratischen Miteinanders (…)“. Und Hakverdi findet den NR „echt toll!“. Der CDU Ortsverband Elbinseln nutzte den NR, um zum Quartiersgespräch einzuladen.

„Von den Politiker*innen hat sich bisher niemand uns gegenüber geäußert, aber einige Organisationen und Vereine haben sich für die Info bedankt und wollen nicht mehr mit dem ‚Ruf‘ zusammen arbeiten,“ berichtet Adrian, „es hat aber auch eine eindeutig pro-rechte Antwort gegeben.“

Juristisch und ethisch in Ordnung?

Ein Zeitungsartikel mit dem Titel "in eigener Sache"
Stellungnahme des NR im eigenen Blatt am 17.5.25: Ganz ohne Hufeisen-Theorie geht es nicht

Dass der NR nun reagiert hat, könnte daran liegen, dass die E-Mails der OAP „zu teils großer Verunsicherung“ bei den Angeschriebenen geführt habe, wie es in der Stellungnahme heißt. Schließlich finanziert sich der NR durch die Anzeigeneinnahmen.

Aus politischer Überzeugung heraus scheint die Entscheidung jedenfalls nicht gefallen zu sein. Wie schon zuletzt im September 2023 beruft sich das Anzeigenblatt auf die Presse- und Meinungsfreiheit und betont, dass „redaktionelle Texte und Anzeigen – egal welcher Partei – […] nicht die Meinung des Verlages, seiner Herausgeberin und seiner Redaktion wieder [spiegeln].“

In beiden, in Teilen fast wortgleich formulierten Stellungnahmen argumentiert der NR, es gehöre zum Wesen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, dass es immer wieder kontroverse Diskussionen bezüglich der Artikel und Anzeigen der AfD gegeben habe. „Das halten wir als der Neue RUF und als Demokraten aus.“

Allerdings: Wer sich auf das Grundgesetz und auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung beruft, sollte bedenken, dass die AfD außerhalb dieses demokratischen Grundkonsenses steht, ja, diesen sogar offen bekämpft. Dafür gibt es, nicht erst seit dem aktuellen Verfassungsschutz-Bericht, hinreichende Belege.

Redaktionelle Texte unterliegen außerdem journalistisch-ethischen Standards, die im Deutschen Pressekodex geregelt sind. Handelt es sich bei einem Text um eine Pressemitteilung einer parteilichen Organisation oder gar eine bezahlte Anzeige, sollte dies auch klar erkennbar gekennzeichnet sein. Es liegt jetzt am NR, dies in Zukunft korrekt umzusetzen.

„Politische Neutralität sieht anders aus“, findet Adrian von der OAP, „der Neue Ruf hat sich mit der Jubiläums-Anzeige schon wieder als rechtes Propagandablatt enttarnt.“ Seine Skepsis beruht auf einer langen Geschichte der Zusammenarbeit zwischen Verlag und AfD: Bereits vor einem Jahrzehnt hatte das Harburger Bündnis gegen Rechts dem NR öffentlich vorgeworfen, sich anstelle von Menschlichkeit, Solidarität und einer differenzierten Berichterstattung in die Verbreitung rechter Propaganda einzureihen.

Auf Distanz zu rechtsextremistischem Gedankengut?

2019 gab das Blatt der AfD-Fraktion Harburg Raum für eine fünfteilige Serie unter dem Titel „Der Neue“, um seine Mitglieder ganz aus eigener Sicht vorzustellen; und 2023 hatten verschiedene Harburger Bündnisse, darunter z.B. die „Omas gegen Rechts“ und das „Harburger Bündnis einig gegen Rechts“ vor dem Verlagsgebäude in Neuwiedenthal gegen eine 12-seitige Anzeige der AfD in dem Lokalblatt protestiert. „Uns Hamburg“, so der Titel der Hetzschrift, war dabei selbst wie eine Zeitung aufgemacht und lag dem ‚Neuen Ruf‘ bei. Auch Pressemitteilungen der Partei fanden sich schon damals unverändert und ungekennzeichnet im NR, der kostenlos an die Haushalte im Hamburger Süden verteilt wird.

WIR berichteten über den Fall und den Protest (WIR 17.9.23), gaben Geschäftsführung, Herausgeberin sowie der Anzeigenabteilung Gelegenheit zur Stellungsnahme. Das „Harburger Bündnis einig gegen Rechts“ forderte, dass sich die Redaktion des NR „offiziell von der AfD distanziert und das Abdrucken von Fake-News, Wahlpropaganda etc. aus dieser Ecke unterlässt.“

Der NR veröffentlichte seine Stellungnahme, danach gab es zwei Jahre relative Zurückhaltung. Die AfD-„Zeitung“ lag dem NR seither nicht mehr bei.

Aufmerksame Beobachter*innen konnten aber zu jeder Zeit feststellen, dass sich lokale AfD-Größen wie Adrian Johann Leuser, Olga Petersen oder Helge Ritscher weiterhin ohne kritische Einordnung oder Gegenstimmen zu Themen im NR äußern konnten. Im Vorfeld der Bürgerschaftswahlen tauchten auch wieder kleinformatige Anzeigen der AfD auf.

Die aktuelle Anzeige zum Jubiläum hatte nun erneut antifaschistische Aktivist*innen auf den Plan gerufen, diesmal erfolgreich. Der NR könnte seine Stellung nun tatsächlich nutzen, um „überparteilich über das politische Geschehen im Hamburger Süden“ zu berichten, wie es in seiner Stellungnahme heißt: Er ist ist das einzige (!) Medium, dass eine volle Redakteursstelle explizit für Wilhelmsburg finanziert und damit auch das einzige lokale Medium, das in der Lage ist, wöchentlich über das Programm sämtlicher sozialer, kultureller, politischer und Bildungseinrichtungen im Stadtteil zu berichten. Für viele Menschen und Einrichtungen im Stadtteil ist er eine wichtige Informationsquelle.

Adrian ist vorsichtig optimistisch: „Es wäre schön, wenn Verlag und Redaktion rechtsextreme Einstellungen wirklich ablehnen und nicht nur taktieren würden. Aber wenn sie in der Zukunft das Abdrucken des AfD-Programms in Form von Anzeigen und pseudo-redaktionellen Texten unterlassen, hören sie wenigstens auf, deren menschenverachtende Positionen zu normalisieren. Wir werden das weiter beobachten.“

*Name von der Redaktion geändert

E-Mail der Offenen antifschistischen Plattform Wilhelmsburg (OAP)

Liebe Organisationen, Vereine und Institutionen des Hamburger Südens und der Region,

Wir schreiben Ihnen, weil in letzter Zeit über Ihre Organisation im Neuen Ruf berichtet wurde. Sicherlich haben Sie der Zeitung Pressemitteilungen geschickt, um die Wilhelmsburger und Veddeler Zielgruppe über Veranstaltungen u.ä. zu informieren.

Uns fällt immer wieder auf, dass der Neue Ruf die Propaganda der sogenannten Alternative für Deutschland (AFD) unterstützt. Sei es durch die Übernahme von Pressemitteilungen der AfD, die wie redaktionelle Artikel wirken oder zuletzt einer ganzseitigen Anzeige der AfD zum 75 jährigen Jubiläum des Neuen Rufs, in der sie sich über die Zusammenarbeit bedankt (siehe Anhang).

Nicht erst seit der Einstufung als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz ist klar, dass die AfD eine faschistische Partei ist, die Massendeportationen plant und die Demokratie abschaffen will. Die Verlagsleitung des Neuen Ruf hat in der Vergangenheit wiederholt jegliche Kritik (von verschiedenen Harburger Bündnissen gegen Rechts) mit dem Verweis auf Pressefreiheit von sich gewiesen. Sie trägt damit zur Normalisierung rechten Gedankenguts bei und verdient daran viel Geld.

Wir bitten Sie daher sich zu überlegen, ob sie in Zukunft weiterhin mit dem Neuen Ruf zusammen arbeiten wollen. Es gibt lokal und regional verschiedene Alternativen (Wilhelmsburger Inselrundblick, Hamburger Wochenblatt u.a.).

Vielleicht wollen Sie dem Neuen Ruf sogar sagen, dass Sie mit einer Unterstützung der AfD nicht einverstanden sind.

Herzlichst

Ihre Offene Antifaschistische Plattform Wilhelmsburg

Quellen (u.a.):

– Jubiläumsbeilage des Neuen Ruf in der Printausgabe vom 26.4.25
– „Der Bezirk verliert die Kontrolle“, Ausgabe 16/2025 Süderelbe
„Anlasslose AfD-Propaganda“ im Wilhelmsburger InselRundblick v. 13.9.23
„Das steht im AfD-Gutachten“, SPIEGEL Online v. 8.05.25

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Jenny Domnick

Als freiberufliche Texterin und gesellschafts-politisch aktive Person ist sie viel im Internet unterwegs, unternimmt aber auch gerne Streifzüge am und im Wasser. Wenn's pladdert, müssen ihre Freund*innen als Testesser*innen für ihre Hobby-Kochkünste herhalten.

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