
Im Schnitt 1.800 LKW täglich donnern seit Anfang April durch die Neuhöfer Straße, weil der Reiherstieg Hauptdeich erhöht wird und gleichzeitig die Klütjenfelder Hochstraße zwecks Brückensanierung gesperrt ist. Anwohnende und Regional-Politik fordern ein Durchfahrverbot, LSBG und Polizei weisen sich gegenseitig die Verantwortung zu
Der Schrecken saß tief, als am ersten April, dem ersten Tag der Umleitung, ein 40-Tonner zunächst in die Mokrystraße einbog und dann versuchte, im Otterhaken zu wenden. Dank der frühmorgendlichen Stunde beschädigte der Fahrer zwar 16 (!) Fahrzeuge, zwei Fahrräder, einen Baum, ein Verkehrszeichen und vier Poller, Menschen kamen aber glücklicherweise nicht zu Schaden. Dabei war das Verkehrschaos vorprogrammiert, denn:
Die Hamburg Port Authority (HPA) weist die Umleitung des Verkehrs bereits seit dem 1. März über die Neuhöfer Straße aus, der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) leitet den Nord-Süd-Verkehr seit April über die Wollkämmerei zur Georg-Wilhelm-Straße um. Da die Ampelschaltung an der Wollkämmerei anscheinend jedoch so schlecht koordiniert ist, „dass man da 15 bis 30 Minuten Zeit verliert, die man in diesem Beruf leider nicht hat, da die ganzen Konzerne und Firmen eine Zeittaktung haben, die jenseits von gut und böse ist“, so ein LKW-Fahrer aus Wilhelmsburg, weichen die meisten lieber auf die Neuhöfer Straße aus.
Verkehrschaos mit Ansage
Bereits Anfang April stellte die Fraktion der Linken in der Hamburger Bürgerschaft anlässlich des schweren Unfalls am Otterhaken eine kleine Anfrage. Nicht nur, dass sich der Schwerlastverkehr in Richtung (Nord-)Osten seinen Weg über die Elbinsel bahne; auch die offizielle Umleitung durch die Georg-Wilhelm-Straße führe durch dichte Wohnbebauung, in der Schulen und Senior*innenwohnanlagen angesiedelt sind und belaste und gefährde so die Anwohnenden.
Wer die Gegend kennt, weiß: In der Neuhöfer Straße ist die Lage nicht besser. Spielende Kinder und Jugendliche laufen ständig zwischen Spielplatz und Basketballfeld auf der einen, und Park, zweitem Spielplatz und Bauspielplatz auf der anderen Straßenseite beim Bunker hin und her. Auch eine Schule und das Haus der Jugend befinden sich hier, weder dort noch an den (Ersatz-)Bushaltestellen gibt es gesicherte Straßenübergänge. Lediglich eine Straßenverengung bremst den Verkehr seit ein paar Jahren etwas ab.
Der LSBG, der die Baustellenkoordination genehmigt hat, hält die Umleitungen für eine gelungene Maßnahme (Hamburger Abendblatt 24.3.25). Eine von der HPA in Auftrag gegebene verkehrstechnische Untersuchung habe eine grundsätzliche Verkehrsverträglichkeit ergeben, so die Antwort des Senats zu der Linken-Anfrage. Dabei wurde der prognostizierte Schwerlastverkehr auf den Umleitungsstrecken nicht einmal ermittelt. Anwohnende und der Regionalausschuss der Bezirksversammlung wurden gar nicht am Verfahren beteiligt, eine Pressemitteilung am 28. März musste reichen.
Was die Antworten des Senats aber auch verraten: Die LKW sollten gar nicht durch die Neuhöfer Straße fahren: „Für den Schwerlastverkehr aus Steinwerder in Richtung Osten ist ab der Argentinienbrücke eine Umleitung über den Veddeler Damm in Richtung A255 ausgeschildert. Verkehre mit Ziel Reiherstieg Hauptdeich und Nebenstraßen werden (…) nach Süden über die Straße Bei der Wollkämmerei zur Georg-Wilhelm-Straße mit Fahrtrichtung Norden geleitet. Die gewählte Umleitungsbeschilderung führt den Schwerlastverkehr nicht durch den östlichen Teil der Neuhöfer Straße in Wilhelmsburg. Im Knotenarm Industriestraße wurde ein entsprechendes Durchfahrtsverbot für LKW angeordnet. So soll der Schwerlastverkehr aus dem Reiherstiegviertel gehalten werden.“ In der Praxis folge ein Teil der ortskundigen LKW-Verkehre der Umleitungsbeschilderung leider nicht.
Der oben zitierte LKW-Fahrer hat seine Kolleg*innen über Funk gefragt, warum sie lieber durch die Neuhöfer Straße fahren, anstatt der Umleitung zu folgen. „Es sind einige dabei gewesen, wo die Disponenten gesagt haben, sie sollen die Strecke wegen der Zeitersparnis fahren, dass sie somit vielleicht den einen Container mehr am Tag aus oder in den Hafen bekommen.“
Bedrohlich, laut und dreckig
Die Anwohnenden der Neuhöfer Straße sind sauer: In Messenger-Gruppen tauschen sie sich über Erfahrungen mit LKW-Fahrer*innen am Handy aus, solche, die über rote Ampeln fahren oder beim Linksabbiegen schlicht nicht in den Spiegel schauen. In der Bürgersprechstunde des Regionalausschusses am 22. April kamen zwei von ihnen zu Wort, einer davon Vater zweier Kinder, die er auch mitgebracht hatte. Er wolle seine Kinder wieder sicher alleine zur Schule schicken können, gerade gestern habe seine Tochter einen über Rot fahrenden LKW „überlebt“.
Man habe ihn ans Polizeikommissariat (PK) 44 als durchführende Stelle verwiesen, die Antwort von dort: Man könne nichts machen, der Vater solle doch „ein Kind auf die Straße legen“ und wenn dem dann was passiere, würde der LSBG reagieren. Der Landesbetrieb weist den Vorwurf zurück: „Verkehrsbeziehungen, Beschilderungen oder auch Tempolimits bei Baumaßnahmen (sind) immer mit der Polizei abgestimmt (…). Der LSBG als Realisierungsträger kann ohne die Zustimmung der Polizei keine dieser Entscheidungen allein treffen“, antwortet die Pressestelle der Geschäftsführung auf Nachfrage.
Eine andere Betroffene bestätigt die Gefahr. Mehrfach habe sie beobachtet, wie Kinder versuchten, die Straße zwischen den LKW am Rotenhäuser Feld zu überqueren – mit knappem Ausgang. Außerdem sei der Lärm unerträglich, obwohl man durch das ständige „Lalülala“ von Polizei, Krankenwagen und Feuerwehr, mehrere Buslinien, ständige Straßenbauarbeiten sowie angrenzende Gastronomie einiges gewohnt sei. „Um fünf Uhr morgens geht’s los, an sechs Tagen die Woche, im Sekundentakt.“
Der Regionalausschuss zeigt sich empört, fraktionsübergreifend (nur die CDU enthält sich) beschließt er, dem Bezirk Hamburg-Mitte zu empfehlen, Kraftfahrzeugen über 7,5 Tonnen die Durchfahrt durch die Neuhöfer Straße zwischen Veringstraße und Georg-Wilhelm-Straße zu verbieten. Mit Ausnahme des Lieferverkehrs.

Doch mit genau diesem begründet der LSBG bisher seine Ablehnung des Durchfahrverbots gegenüber dem zuständigen Leiter für Prävention und Verkehr beim PK 44, Reinhard Stahlhuth. Die Straße habe schließlich eine „überbezirkliche Bedeutung“ für die Hafenlogistik, Ausnahmegenehmigungen seien schwierig zu kontrollieren.
Von einer Intervention von Anwohner*innen, PK 44 und dem Regionalausschuss, die Neuhöfer Straße für dem LKW-Durchgangsverkehr zu sperren, wisse man laut Pressestelle nichts. Auch der Beschluss der Bezirksversammlung liege dem LSBG nicht vor.
Wer trägt die Verantwortung?
Herr Stahlhuth hatte eine Messung des Schwerlastverkehrs durch die Neuhöfer Straße vom 22. bis 30.4. angeordnet. Ergebnis: Im Schnitt 1.800 LKW pro Tag, eine Verdreifachung im Vergleich zum „nomalen“ Schwerlastverkehr hier, brausen durchs Wohngebiet. Der LSBG dementiert: „Die Sperrung der Neuhöfer Straße für den LKW-Durchgangsverkehr ist nach unseren Informationen durch das PK 44 nicht vorgesehen (das PK lehnt dieses sogar ab). Beschilderungen, die z. B. ein Durchfahrtsverbot für LKW ausweisen, kann der LSBG nur mit Zustimmung der Polizei einrichten.“
Den Vorschlag, die Ampelschaltung an der Wollkämmerei zu überprüfen, wischt der Landesbetrieb ebenfalls vom Tisch: „Die aktuelle Ampelschaltung (…) berücksichtigt bereits eine deutlich längere Grünphase für die Linksabbieger aus der Straße B. d. Wollkämmerei in die Georg-Wilhelm-Straße. Das Ampelprogramm wurde dabei so gewählt, dass die anderen Fahrbeziehungen am Knoten weiterhin leistungsfähig bleiben. Eine weitere Grünzeitverlängerung der Linksabbieger würde zu Leistungsverlusten der anderen Fahrbeziehungen am o. g. Knoten führen“, antwortet die Pressestelle. Eine übermäßige Fahrtverlängerung auf der Umleitungsstrecke habe man bisher auf Kontrollfahrten nicht feststellen können. Unvorhergesehene Ereignisse wie Verkehrsunfälle im Hafen seien natürlich ausgenommen.
An einem Montag Mitte Mai ist zu bestaunen, wie gut die Koordination zwischen BVM-Abteilung Verkehrsoptimierung, Wasserschutzpolizeikommissariat 2, Polizeikommissariat 44, Feuerwehr, Verkehrsdirektion 52, Verkehrsdirektion 51, Verkehrsdirektion 513 sowie der Streckenservice HOCHBAHN (für die Modernisierung der Klütjenfelder Hochstraße von der HPA beteiligt) bzw. BVM – Abteilung Verkehrsoptimierung, Wasserschutzpolizeikommissariat 2, Polizeikommissariat 44, Verkehrsdirektion 51, Verkehrsdirektion 52, Feuerwehr WF34, HPA, HHVA sowie Hamburger Hochbahn AG (für die Maßnahme Reihersteig Hauptdeich durch den LSBG folgende Stellen am Abstimmungsprozess beteiligt) funktioniert hat: Eine LKW-Lawine quält sich nicht durch die Neuhöfer Straße, sondern verstopft auch die Veringstraße. Der Grund: „Heute sind die ganzen LKW (sic!) durchs Viertel gefahren, weil die Reiherstiegbrücke mehrmals geöffnet war und deswegen gestaut hat und die LKW durch die Neuhöfer Straße nach Veddel gefahren sind, um Richtung Köhle zu kommen“, denkt der Wilhelmsburger LKW-Fahrer.
Einen Lichtblick gibt es aber: Einem schon länger vom Quartiersbeirat eingebrachten Vorschlag, die östliche Neuhöfer Straße als 30er-Zone einzurichten, hat der LSBG durch die Intervention des PK nun zugestimmt. Diese soll die Gefahren-, Lärm- und Abgasbelastung der Anlieger reduzieren. Seit dem 9. Mai ist sie ausgeschildert, allerdings nur für LKW. Die Deicherhöhung soll am 30. September fertig sein, die Brücke an der Klütjenfelder Hochstraße 10 Tage früher.
Hoffentlich stirbt bis dahin tatsächlich niemand.