Wünscht sich die Verwaltung ein willfähriges Gremium?
Am 23. Februar 2023 fand die erste Sitzung des neu gewählten Stadtteilbeirates Wilhelmsburg statt. Eine Gruppe der Beiratsmitglieder hatte eine „Nachbesprechung zur Beiratswahl“ zusätzlich auf die Tagesordnung setzen lassen. Als Begründung führten sie an, dass, obwohl ausreichend Kandidat:innen zur Verfügung standen, nicht alle Quartiere besetzt wurden und im Quartier Peter-Beenck-Straße niemand gewählt wurde. Die Gruppe bemängelt, dass eine Begründung, wieso der Kandidat für die Peter-Beenck-Straße nicht in Frage gekommen sei, auch auf Nachfrage nicht gegeben wurde. Es stelle sich daher die Frage, ob das derzeitig vereinbarte Wahlverfahren das Richtige sei, oder ob es auf den Prüfstand gehöre, um den Prozess fairer und transparenter zu gestalten.
Der Vorschlag für ein besseres Wahlverfahren lautet u. a.: „Um eine möglichst breite Beteiligung sicherzustellen, sollte über eine Veränderung des Wahlmechanismus nachgedacht werden. Analog zu diversen anderen Beiräten sollten der Beirat bzw. die bei der konstituierenden Versammlung Anwesenden selbst darüber entscheiden, wer Mitglied wird. Dem Regionalausschuss bzw. der Bezirksversammlung käme weiterhin das Recht zu, die so gewählten Mitglieder zu bestätigen oder – bei evidenten Versagensgründen – eine Bestätigung zu versagen.“
In der konstituierenden Beiratssitzung wurde dann der Vorstand gewählt: Vorsitzender wurde wieder Philipp Holler und Stellvertreter wurden Emre Kaya, Jürgen Demann und Fabian Westermeier. Entgegen dem Vorschlag, Beisitzer:innen erst dann zu wählen, wenn die restlichen Quartiere nachbesetzt wurden, um auch diesen Mitgliedern eine Chance zur Beteiligung zu geben, erfolgte die Wahl der drei Beisitzer:innen direkt in der Sitzung.
Beiratsmitglieder und Gäste sind unzufrieden mit dem Wahlmechanismus
In der anschließenden Diskussion wurde dann massiver Unmut über das Wahlverfahren im Regionalausschuss Wilhelmsburg/Veddel laut. Michael Weinreich, Vorsitzender des Regionalausschusses, erläuterte das jetzige Wahlverfahren: „Es gab Listen über die Bewerber:innen in den einzelnen Quartieren. Neue Bewerber hatten Bewerbungsbogen ausgefüllt. Die Wahl erfolgte in geheimer Abstimmung. Jedes stimmberechtigte Mitglied der Fraktionen hat einen Stimmzettel abgegeben. Einige Bewerber:innen hatten dann mehr Nein- als Ja-Stimmen und wurden nicht gewählt.”
Nicht gewählte Bewerber bezweifelten in der Sitzung, ob die Mitglieder des Regionalausschusses sie und ihren Einsatz für das Quartier überhaupt kennen würden. Das wurde von den anwesenden Parteienvertreter:innen zurück gewiesen: Sie seien meistens in den Beiratssitzungen anwesend und würden ihren Kolleg:innen entsprechend berichten. Ein Bewerber blieb bei seiner Einschätzung: „Die kennen mich einfach nicht! Ich habe mich das vierte Mal beworben. Seit 1949 wohne ich in diesem Bezirk. Von irgendeiner Partei bin ich nicht genommen worden.“ Ein anderer abgelehnter Bewerber bemängelte mangelnden Respekt vor der Bürgerbeteiligung: „Wir setzen uns für das Gute im Stadtteil ein. Die Politik müsste dankbar sein für das Engagement.“
Es wurde tatsächlich versäumt, den nicht wieder gewählten Beiratsmitgliedern für ihre bisherige Tätigkeit zu danken. Das holte Denise von Busch, Regionalbeauftragte, dann noch nach. Auch dem Bürgerhaus, das viele Jahre die Geschäftsstelle beherbergte, wurde nur von dem Vertreter der LINKEN gedankt.
Die langjährige Geschäftsstelle im Bürgerhaus wurde neu ausgeschrieben
Katja Scheer, Leiterin des Bürgerhauses, wies darauf hin, dass es die letzte Sitzung gewesen sei, die von der Geschäftsstelle im Bürgerhaus organisiert wurde. Das Bürgerhaus hat sich auf die neue Ausschreibung nicht wieder beworben, ist aber gerne bereit, weiter einen Sitzungsraum zur Verfügung zu stellen. Denise von Busch erklärte, dass die Auswahl für die Geschäftsstelle nach einem Kriterienkatalog erfolge. Bewerber:innen müssten einen Wilhelmsburgbezug haben. Der/die mit den meisten Punkten bekomme den Auftrag.
Jürgen Demann, Vorstandsmitglied, erklärte noch: „Es gehört einiges aufgearbeitet.Der Runde Tisch wurde geschliffen. Wir sind immer noch in der Aufarbeitung, aber wir gucken freundlich in die Zukunft. Aber einen willfährigen Beirat lehne ich ab.“ Der Runde Tisch hatte sich gegründet, nachdem der langjährige Vorsitzende Lutz Cassel nicht wieder gewählt worden war.
Michael Weinreich wies darauf hin, dass es für die Beiräte außerhalb von RISE-Gebieten keine feste Finanzierung für längere Zeit gebe. 2024 seien neue Bezirkswahlen. Es gebe keine festen Strukturen. Über die Beiräte würde jährlich entschieden, das könnten sie nicht verstetigen. Er hatte vorher schon erklärt: „Der Regionalausschuss und der Bezirk setzen sich dafür ein, dass der Beirat stattfindet. Wir werben immer wieder Geld ein. (…) Wir sorgen für das Geld. (…) Unser Wille ist, dass dieses Gremium weiter existiert.“
Zum Schluss ging es dann noch um Aktuelles aus den Quartieren. Denise von Busch verwies auf den „Meldemichel“ für Meldungen und Beschwerden.
Die Wahl von Mitgliedern in Bürgergremien durch Politiker hat immer ein Geschmäckle. Es werden natürlich von den Parteien diejenigen ins Rennen geschickt und anschließend “gewählt”, auf die man glaubt, sich verlassen zu können, dass diese im Sinne der jeweiligen Parteien agieren. Der breiten Öffentlichkeit werden die Stellungnahmen eines Gremiums dann später als echte Bürgerbeteiligung verkauft. Tatsächlich sind sie oft aber nur ein Feigenblatt für politische Entscheidungen der entscheidenden Parteien – frei nach dem Motto: “die Bürger wurden ja befragt”. Diese Beobachtungen und Erfahrungen habe ich selbst vor Jahren nicht nur im Bürgerbeteiligungsgremium, sondern auch in anderen ähnlichen Formaten, wie etwa als Mitglied der Hamburger Elternkammer, gemacht. Tatsächlich müssten Politiker vollkommen aus den Auswahlverfahren ausgeschlossen werden. Denkbar wäre beispielsweise, dass ein Beteiligungsgremium zum Ende seiner Amtszeit selbst die Besetzung der Nachfolger organisiert, und zwar durch ein Losverfahren. Bewerber sollten sich dann direkt beim Beteiligungsgremien melden, und bei einer der letzten Sitzungen eine geheime Ziehung im Losverfahren durchführen. Die Parteien hätten dann immer noch die Einflussmäglichkeit, “ihren” Leute zu Bewerbungen animieren zu können. Dennoch wäre ihr Einfluss ein wenig gedämpfter.
Der Hinweis von Michael Weinreich bezüglich der Finanzierung der Beiräte verrät einmal mehr das unlautere Verhalten des Vorsitzenden des Regionalausschusses. Es ist eine ziemlich unverhohlene Drohung, die frei übersetzt lautet: Wenn der Beirat nicht “willfährig” ist bekommt er keine finanzielle Unterstützung. Unverschämter geht es kaum noch. Unwahr ist darüber hinaus seine Behauptung: “Wir (die Bezirksversammlung) werben immer wieder Geld ein, und Wir sorgen für das Geld”. Richtig ist, dass der Senat für den 2012 eingerichteten Quartiersfond Mittel zur Verfügung stellt. Die Bezirksversammlung wirbt also kein Geld ein und sorgt auch nicht für das Geld, wie Weinreich behauptet. Die Bürgerschaft hat aktuell bis 2030 ein jährliches Gesamtvolumen von ca. 10 Mio beschlossen. Davon stehen der Bezirksversammlung im Quartiersfonds ca. 1,5 Mio zur Verfügung. Für Verstetigung und weitere Unterstützung der Beiratsarbeit waren und sind seit etwa 8 Jahren 150.000 Euro dauerhaft veranschlagt. Die Bezirksversammlung hat die verantwortungsvolle, “ehrenvolle” Aufgabe, mit dieser Summe zur Verstetigung der Beiratsarbeit beizutragen und Beiratsarbeit ohne wenn und aber zu unterstützen. Aber das muss ein Bürgerschaftsabgeordneter, der zur Zeit jeden Baum und Laternenpfahl mit seinem Konterfei behängt, ja auch nicht wissen.
Das ist so nicht wahr. Der Quartiersfonds ist nicht per se für die Finanzierung der Beiräte eingerichtet. Aus diesem Topf werden viele soziale Projekt gefördert. Es ist die Bezirksversammlung, die Jahr für Jahr über dieses Geld entscheidet. Und ich schreibe das nicht als Drohung, sondern als Beschreibung des Sachverhaltes.
Der Quartiersfonds ist beliebt, und es gibt immer viel mehr Anträge als Geld da ist.
Die Bezirksversammlung finanziert die Beiräte aus diesem Topf Jahr für Jahr aus voller Überzeugung. Sie müsste das nicht, aber wird es, da bin ich sicher, auch in den folgenden Jahren weiter tun. Und wenn jemand wie Michael Weinreich betont, das das so ist, dann droht er nicht, sondern er betont für wie wichtig die Arbeit der Beiräte „der Politik“ ist.
Wer will, kann alles negativ darstellen. Aber damit liegt man nicht immer richtig.