Auch wenig Gewalt kann viel kaputt machen

Die Schule auf der Veddel lud Christoph Rickels ein, Jugendlichen aus vier 8. und 9. Klassen aus seinem Leben zu berichten: Ein Faustschlag hat alles verändert. Nichts war mehr so wie vorher

In einem weiß gestrichenen Raum sitzen viele junge Leute. Im Hinergrund ein Vortragender neben einer Leinwand.
Konferenzraum der BallinStadt am 9. Juli: Schüler*innen der 9a der Schule auf der Veddel lauschen gespannt dem Anti-Gewaltvortrag von Christoph Rickels. Foto: M. Groß

„Ich möchte euer Leben verbessern, ich möchte euch motivieren, das zu tun, was ihr wirklich wollt. Warum tut ihr Dinge, die nicht von Herzen kommen?“, fragt Christoph Rickels in seinem Vortrag die Jugendlichen der Klasse 9a.

Die Schule auf der Veddel arbeitet bereits seit einiger Zeit in Sozialkompetenz- und Antigewaltkursen mit den Jugendlichen am Thema Konflikte. Die Vorträge von Christoph Rickels sind ein Baustein dafür, sich für ein Leben ohne Gewalt zu entscheiden.

Oben steht: Schützen vor meinem Schicksal. Darunter links FSV Jever 1999 über einem Bild von einem Jungen im Sportdress mit einem großen Plüschbären. Daneben ein Pfeil zu einem Bild mit einem Kranken im Bett. Darüber steht 2007 - Krankenhaus Aurich
Foto aus der Präsentation: M. Groß

Der Vortrag beginnt mit dem Hinweis: „Ich wurde vor 17 Jahren fast tot geschlagen. Seitdem bin ich halbseitig gelähmt – eine spastische Lähmung der rechten Seite. Es kann passieren, dass ich anfange zu zittern. Meine eine Gesichtshälfte ist nicht so schnell wie die andere. Ich bin kaputt.“ Dann erzählt Christoph Rickels seine Geschichte: „Es war ein kurzer Moment, der mein Leben veränderte. Das kann jedem passieren. Ich war einer von euch. Habe auch geboxt, anderen auf’s Maul gehauen. Ich hatte vor niemandem Angst. Ich war jahrelang Klassen- und Schulsprecher.“ Am 27. September 2007 warf ihn vor einer Disco im ostfriesischen Aurich ein gezielter Boxhieb eines eifersüchtigen jungen Mannes unvorbereitet zu Boden. Er hatte der Freundin des Täters, die er flüchtig kannte, ein Getränk ausgegeben. Er schlug unglücklich auf Beton auf und zog sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Nach vier Monaten im Koma wachte er langsam wieder auf, erkannte jedoch zuerst nicht einmal seine Mutter. Er kämpfte sich ins Leben zurück, lernte wieder Essen, Sprechen und Laufen.

Er plante eine Karriere bei der Bundeswehr

Christoph Rickels hat keine Erinnerung an den Angriff. Was damals passiert ist, hat er auf dem Überwachungsvideo gesehen. Ursprünglich wollte er Polizist werden, aber ohne Abitur war ihm der gehobene Dienst verschlossen, und Befehle zu empfangen, lag ihm nicht. So bewarb er sich bei der Bundeswehr und bekam eine Zusage bei den Feldjägern in Süddeutschland. Dort hätte er mit seinem Realschulabschluss auch eine Offizierslaufbahn machen können. Am Abend vor der Abreise hatte er dann das Pech, vor der Disko den eifersüchtigen jungen Mann zu treffen. Von da an nahm sein Leben eine ganz andere Richtung.

Wie es daraufhin weiter gehen könnte, erfuhr er durch einen ersten Vortrag vor Schüler*innen. Seine Cousine hatte ihn im Krankenhaus besucht und gerfragt, ob er zu ihr in ihre Schulklasse kommen und von seinem Leid erzählen würde. Er überwand seine Angst und Bedenken und merkte, dass er die Jugendlichen mit seiner Geschichte berühren konnte. Die örtliche Presse berichtete und weitere Schulen meldeten sich. Er rief First Togetherness ins Leben, ein Präventionsprojekt, mit dem er Jugendlichen klarmachen will, dass Gewalt auf keinen Fall cool ist.

Gewalt ist uncool

Ein Buchtitel mit einem Portrait von Christoph Rickels.
Biografie, 208 Seiten, 17,95 Euro, ISBN 978-3-8419-0721-9, Edel Books

Auf der Veddel mahnt Christoph Rickels die Jugendlichen: „Ich will euch nichts vorjammern. Ihr sollt verstehen, nicht nur ich, sondern auch ihr könnt Pech haben. Warum macht man das, was jeder will? Warum tut ihr Dinge, die nicht von Herzen kommen – weil man andern gefallen will? Habt ihr Angst, dass euch andere sonst nicht mehr so cool finden? Cool sein heißt, stark sein. Das heißt, wenn ich etwas schaffe, was schwer ist. Wenn ich das mache, was alle anderen wollen, dann bin ich doch nicht stark.“

Seinen Vortrag unterfüttert Christoph Rickels mit Projektionen, die ihn vor der Gewalttat und danach zeigen. Vor seinem 20. Lebensjahr liebte er die Musik. Er komponierte und textete ein eigenes Lied. Er spielte Gitarre, Keyboard und Schlagzeug. Das alles geht nach der Gewalttat nicht mehr. Im September 2012 erhielt er die „Urkunde zum Dank und als Anerkennung für Zivilcouragiertes Engagement“ vom damaligen Innenminister des Landes Niedersachsen. Auch die Berichterstattung in überregionalen Zeitungen, wie der Süddeutschen, der Brigitte und der Bravo sowie ein Bericht bei RTL machten sein Engagement bekannt. Seit der Preisverleihung erhält er viel Unterstützung von bekannten Künstlern und Sportlern. Christoph Rickels: „Das gibt mir Kraft. Alle wollen, dass wir die Welt ein bisschen verbessern.“ Ein Video von Bushido beweist, dass auch die Rapp-Opas nicht mehr die Gewalt verherrlichen. Auch der Influencer Ali SKK kam nach Jever und besuchte Christoph Rickels.

Das Gericht hat damals den Täter zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Seit 17 Jahren kämpft Christoph Rickels um Schmerzensgeld. Inzwischen klagt er auch gegen seinen damaligen Anwalt.

Fazit nach eineinhalb Stunden aufrüttelndem Vortrag: „Auch wenig Gewalt macht viel kaputt, nicht nur die Täter und Opfer, sondern auch deren Familien – Gewalt ist voll uncool – Glaubt an euch – seid authentisch – hört auf euer Herz!“

Unterschiedliche Institutionen auf der Veddel haben gemeinsam mit der Schule auf der Veddel das Projekt geplant und organisiert. Finanziert wurde das Projekt von der institutionenübergreifenden Planungsgruppe Veddel. Das Einwanderermuseum BallinStadt hat den Konferenzraum für die zweitätigige Veranstaltung günstig zur Verfügung gestellt.

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Marianne Groß

... ist Gründungsmitglied des Wilhelmsburger InselRundblicks e. V. Sie berichtet – soweit möglich – über alles, was sie selbst interessiert und hofft, damit die Leser*innen nicht zu langweilen. Dazu gehören die Veränderungen im Stadtteil, Ökologie und Kultur. Zusammen mit ihrem Mann kümmert sie sich um den großen Garten und liebt es, Buchsbäume zu schneiden.

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