Das Kriegerdenkmal – Utopie und Dystopie

Die kritische Installation am Kriegerdenkmal an der Emmauskirche kommt Schritt für Schritt voran. Die Vollendung mit einer Verbindung zu den Stolpersteinen gegenüber wird vom Bezirksamt HH-Mitte bisher abgelehnt

Eine zentrale Station beim Stolpersteinrundgang der Geschichtswerkstatt am 10. November 2024 waren, wie in jedem Jahr, das alte Kriegerdenkmal hinter der Emmauskirche und die gegenüberliegenden Stolpersteine vor dem Leipelthaus.

Nachdenken

Als Ergebnis eines jahrelangen Diskussionsprozesses um das umstrittene Denkmal wird dort seit anderthalb Jahren eine „künstlerische Intervention” realisiert. Sinn der Installation ist es, die nationalistische und militaristische Botschaft des 1932 errichteten Denkmals mit den von den Nazis ermordeten Leipelts als Opfer dieser Gesinnung zu konfrontieren. Als erster Schritt wurde das Denkmal im März 2023 in Richtung auf die gegenüberliegenden Stolpersteine vor dem Leipelthaus gedreht. Im Juli diesen Jahres wurde auf dem Gehweg vor dem Denkmal in großen farbigen Buchstaben das Wort DENKEN mit verschiedenen Vorsilben aufgebracht, die zum NACHDENKEN anregen sollen (WIR 14.8.24).

Nahaufnahme der Infotafel am Denkmal
Ein Ort offener Fragen: Infotafel am Kriegerdenkmal. Foto: H. Kahle

Vor ein paar Wochen haben Vera Drebusch und die Geschichtswerkstatt eine erklärende Infotafel am Denkmal einbetoniert. Dort heißt es, die Interventionen seien wie Störer*innen in der Umgebung des Denkmals eingestreut. Sie sollten die Umgebung aktivieren, die Gemeinschaft einbeziehen und zum Denken animieren. Und: Eine Linie aus Stein solle die Verbindung zwischen dem Denkmal und den Stolpersteinen gegenüber verdeutlichen.

Die Linie aus Stein

Über diese „Linie aus Stein” verhandelt Vera Drebusch seit fast zwei Jahren mit den zuständigen Stellen des Bezirksamtes HH-Mitte. Ihre Anträge werden mit immer neuen, zum Teil skurrilen Begründungen und trotz mehrfacher Überarbeitung immer wieder abgelehnt (WIR 17.1.24). Das Hauptargument ist dabei, dass diese in die Fahrbahn eingelassene Linie im Sinne des Wegegesetz-Paragrafen 19 die „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs” beeinträchtige.

In anderen Städten scheint das allerdings kein Problem zu sein (siehe Foto).

Ein gepflaster Streifen geht quer über Radfahrweg und Fahrbahn und spart nur die Straßenbahnschienen aus.
In anderen Städten kein Problem: In Berlin erinnert eine gepflasterte Linie über die Bernauer Straße an den Verlauf der Mauer. Foto: H. Kahle

Eher eine Posse am Rande ist die Kontroverse mit dem Denkmalschutzamt. Auf der kleinen Grünfläche um das Denkmal würden nach dem Plan der Künstler*innen die Kinder der anliegenden Emmaus-Kita ein Gärtchen mit Blumen und kleinen Nutzpflanzen anlegen und pflegen. Auch daraus ist bisher noch nichts geworden: Nutzpflanzen möchte das Denkmalschutzamt nicht.

Die aktuelle Bedeutung der Installation

Allen, die an der Diskussion über den Umgang mit dem alten Kriegerdenkmal beteiligt waren, ist bewusst, dass die Errichtung dieser antimilitaristischen Installation durch die wachsende Kriegsgefahr, mit zunehmendem, gefährlichen Säbelrasseln auch bei deutschen Politiker*innen und Medien, eine Bedeutung bekommen hat, die zu Beginn des Diskussionsprozesses nicht absehbar war. Die Vermutung, dass die letzten Genehmigungen auch deshalb nicht erteilt werden, weil das Projekt nicht in den neuen „Zeitgeist” passt, liegt nahe.

Anfang September hat Vera Drebusch erneut einen Antrag zur Aufbringung der Linie auf die Straße gestellt. Bis Redaktionsschluss gab es darauf keine Antwort. Der Ausgang ist ungewiss.

Das Denkmal: Utopie und Dystopie

„Utopie” bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch die Vision einer schönen Zukunft in einer guten Welt. Die weniger gebräuchliche „Dystopie” meint das düstere Zukunftsbild einer Welt des Grauens.

Die Utopie

An einem schönen Tag im April nächsten Jahres: Die gerade mit einer gepflasterten Linie zwischen Kriegerdenkmal und Stolpersteinen vollendete künstlerische Intervention wird von Bezirksamtsleiter Neubauer feierlich eingeweiht. Er betont noch einmal die Bedeutung der Friedensbotschaft des Mahnmals. Zwei Kinder aus der Emmauskita überreichen dem Vertreter des Denkmalschutzamtes einen kleinen Korb mit frisch geernteten Radieschen aus dem Gärtchen um das Kriegerdenkmal.

Die Dystopie

Irgendwann in einigen Jahren: Von Hamburg und seiner Bevölkerung ist nicht sehr viel übrig geblieben. An den Ruinen sieht man Schriftzüge „Nie wieder!”. Das alte Kriegerdenkmal hinter der Emmauskirche ist stehengeblieben. Eine Wilhelmsburger Geschichtswerkstatt hat dort eine Tafel angebracht mit der Aufschrift: „Hier verhinderte das Bezirksamt Hamburg-Mitte am Vorabend des dritten Weltkriegs mit Bezug auf §19 Abs.1 Nr.1 des Hamburgischen Wegegesetzes die Fertigstellung eines antimilitaristischen Mahnmals.”

2 Gedanken zu “Das Kriegerdenkmal – Utopie und Dystopie

  1. Was in anderen Städten kein Problem ist, nämlich Wegmarken auf Wegen und Straßen, scheint in Hamburg ein schier unlösbares Problem zu sein. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs wird behindert? Wie denn eigentlich? Denken die Bürokraten denn, dass jemand mitten auf der Straße sein Auto anhält, um sich genüsslich den Streifen anzusehen?! Wohl kaum. Es entsteht leider der Eindruck, die Verwaltung, von wem auch immer angestachelt, WILL KEIN sichtbares Mahnmal.

  2. Ich finde es etwas übertrieben, das Bild von einem dritten Weltkrieg an die Wand zu malen. Auch Putin hat Kinder. Die Zeiten sind derzeit brandgefährlich, aber es liegt nicht an uns. Der Aggressor heißt Putin. Was nutzt es uns, wenn wir immer wieder vor den Bullies dieser Welt kuschen und uns in unserer Lebensweise einschränken lassen?
    Wozu das führt, haben wir in der Ukraine gerade gut zu sehen bekommen. 2014 hat Putin die Krim annektiert und die gesamte Welt hat die Füße stillgehalten und nichts unternommen. Das hat letzten Endes dazu geführt, dass sich der Despot Putin jetzt die ganze Ukraine einverleiben will. Wenn er damit durchkommt, was kommt dann als Nächstes? Finnland? Polen? Deutschland? Was wollen wir? Immer wieder nachgeben, oder auch mal etwas Rückrad zeigen und sagen: “Bis hier und nicht weiter!”?

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Hermann Kahle

Hermann Kahle schreibt über Kultur, Schule und für den Kaffeepott

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