DURCHHALTEN

Tod im Frühjahr nicht ausgeschlossen

Vor einigen Wochen schrieb ich ein DURCHHALTEN mit dem Titel „Die Wintertoten“. Leider hat sich die extrem miese Lage der Wohnungslosen in Hamburg im Frühling keineswegs verbessert. Ich greife das Thema deshalb hier noch einmal auf, und auch die Kolumne, die leider nichts an Aktualität verloren hat.

Senat fantasiert von „geschützter Unterkunft“ im verlängerten Winternotprogramm

Stockbetten in einer Notunterkunft. Foto: ein

„Winternotprogramm für Obdachlose bis Ende Mai verlängert“, so lautet eine Pressemeldung des Senatspressestelle aus der ersten Aprilwoche. Damit hat die Politik zwar erkannt, dass wohnungslose Menschen aufgrund der Corona-Situation auch bei Durchschnittstemperaturen über 10 Grad stark gesundheitsgefährdet sind – doch setzt sie weiterhin auf die denkbar schlechteste aller Unterbringungslösungen, nämlich die Massenunterkünfte ihres Winternotprogramms.
Noch immer stehen die Hotels leer – und noch immer kein Gedanke seitens der Behörde daran, obdachlose Menschen dort unterzubringen.


Auch mit den Impfungen für Wohnungslose geht es nicht voran. Zwar sind sie laut Priorisierungsliste längst dran, doch das heißt ja nichts, wie wir wissen. Sie werden genauso hingehalten wie chronisch Kranke, akut Kranke oder anderweitig extrem gefährdete Menschen. Allerdings können sie sich noch nicht einmal in eine selbstgewählte Quarantäne zurückziehen. Doch das brauchen sie auch nicht, denn, so der Senat in seiner Pressemitteilung, das Winternotprogramm werde deshalb um zwei Monate verlängert „um auch obdachlosen Menschen Corona-Schutzimpfungen anbieten zu können und bis dahin eine geschützte Unterkunft zu gewährleisten“ (Hervorhebung von der Red.).

Corona-Ausbruch in einer Massenunterkunft

Wie es um den Schutz in den Unterkünften bestellt ist, zeigt eine Senats-Pressemeldung vom 16. April: „In einer Wohnunterkunft im Bezirk Mitte sind seit Anfang April insgesamt 42 Bewohner positiv auf Covid-19 getestet worden.“ Weiter heißt es dort: „Aufgrund eines diffusen Ausbruchsgeschehens und enger Kontakte werden alle 150 Bewohner der betroffenen Unterkunft vorsichtshalber unter Quarantäne gestellt.“
„Diffuses Ausbruchsgeschehen“, ich finde, das hört sich so an wie: „Diese verflixten Obdachlosen – nicht mal einen geordneten Seuchenausbruch kriegen sie hin!“ Überdies verstehe ich nicht, was daran „diffus“ sein soll, wenn in einer Massenunterkunft ein Mensch den anderen ansteckt.

Die Wintertoten

DURCHHALTEN aus Ausgabe 2/2021

Dieser Frühlingseinbruch! Blauer Himmel, Sonne, die Vögel singen wie verrückt. Lächelnde Menschen blinzeln bei Rekordtemperaturen in die Sonne, und die Kinder, nicht mehr eingedämmt, quietschen vergnügt auf den Spielplätzen.
Der Winter – aus den Augen, aus dem Sinn.

Die Toten auch?

22 Obdachlose sind bisher in diesem Winter in ganz Deutschland gestorben. 13 davon starben in Hamburg, gezählt im Dezember, Januar, Februar. Noch nie haben hier so viele Menschen in so kurzer Zeit auf der Straße ihr Leben gelassen.

Es ist jeden Winter dasselbe: Die Stadt brüstet sich mit ihrem Winternotprogramm – „jeder, der ein Bett braucht, kann in unseren Notunterkünften eins bekommen“, „wir machen ein Beratungsangebot durch Sozialarbeiter direkt vor Ort“, „es gibt abschließbare Spinde“ – und die Wohnungslosen treibt die Angst vor diesen Massenunterkünften und vor der angedrohten Zwangsberatung dazu, auch bei widrigsten Wetterumständen irgendwo draußen Schutz zu suchen.

Am Ende finden sie nirgends Schutz und sterben.

Jedes Jahr aufs Neue zeigt sich die Sozialbehörde absolut beratungsresistent, was die Ausgestaltung und die Nutzungsbedingungen ihrer Notunterkünfte angeht. Einzelzimmer für Arme? Wo kämen wir denn da hin! Einfach nur mal Ruhe haben? Na, na, na, eine gewisse Mitwirkungspflicht haben Sie aber schon! Die Notunterkünfte auch tagsüber offen halten? Irgendwo muss auch mal Schluss sein!

Und jedes Jahr wird mit großen Augen auf die „tragischen Todesfälle“ geblickt. Und dann ist der Winter vorbei und man blickt wieder nach vorn. Für die nächsten acht Monate geraten die Wintertoten in Vergessenheit. Und mit ihnen gleich das ganze leidige Thema Wohnungslosigkeit.

Diesen Winter sind zwei Dinge anders.

Zum einen ist die Gesundheit der obdachlosen Menschen durch das hinzugekommene Corona-Virus noch gefährdeter als sie durch das anstrengende Leben auf der Straße sowieso schon ist. Die Massenunterkünfte des Winternotprogramms verstärken diese Gefährdung.
Zum anderen stehen erstmals hunderte Hotelzimmer leer. In der ganzen Stadt. Prima Zimmer mit echten Betten und eigenem Bad und Tisch und Stuhl. Orte, an denen Menschen mal ein wenig zur Ruhe kommen könnten und zu Kräften.

Die logische Schlussfolgerung aus beiden Dingen kann nur lauten: Hotelzimmer für alle Obdachlosen!

Die Stadt Hamburg könnte jetzt ihren sozialpädagogisch bemäntelten Paternalismus gegenüber den Ärmsten der Gesellschaft zur Seite legen und einfach jedem Menschen, der sie braucht, eine ihm würdige Unterkunft (in einem eigenen Zimmer) verschaffen. Das würde auch die Corona-Ansteckungsgefahr für die Betroffenen deutlich mindern.

Die Sozialbehörde tut aber nicht, was logisch und notwendig ist. Sie hält – in Zeiten von Kontaktverbot und AHAL-Regeln – an ihrer unzulänglichen Notunterbringung fest.
Begründung: Die Stadt sieht sich nicht in der Lage, viele kleine dezentrale Unterbringungsorte zu „versorgen“. Nur in Sammelunterkünften sei eine „Versorgung zu gewährleisten“. Das heißt dann wohl im Klartext: Menschen an einem Ort ohne ständige Kontrolle und Beaufsichtigung unterzubringen, ist nicht vorstellbar.

Ich fürchte, es steckt noch ein anderer Gedanke hinter dem Nicht-Genehmigen von ein wenig Erleichterung für die Wohnungslosen: „Wer nichts zum Bruttosozialprodukt beiträgt, der soll es auch nicht ,zu gut‘ haben. Im Hotel wohnen zu dürfen, das muss man sich eben erst mal verdienen.“
Dass es beim Hotelaufenthalt obdachloser Menschen nicht um ein Urlaubsvergnügen sondern ums nackte Überleben geht, wird dabei völlig ignoriert.

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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