Und wer fragt nach der Klimabilanz? Wohnungsbau und Wahn auf Wilhelmsburg

Auf einer Fahrradtour entlang der geplanten Baugebiete an der „Nord-Süd-Achse“ zwischen Spreehafen und Wilhelmsburger Mitte wollen die Waldretter:innen Wilhelmsburg die Dimensionen der Planungen zeigen

Da waren z. B. Gärten: Bauvorbereitungen für das „Elbinselquartier“ an der „Nord-Süd-Achse“ (rechts im Bild: der Vogelhüttendeich).
Alle Fotos: Waldretter:innen

Insgesamt sechs Bauprojekte plant die IBA Hamburg GmbH derzeit auf Wilhelmsburg. Die Projekte werden stets isoliert voneinander präsentiert und betrachtet. Jedes einzelne hat einen hübschen Namen und wird mit einem eigenen Slogan charakterisiert.
Die wohlklingenden Bezeichnungen wie „Spreehafenviertel“, „Georg-Wilhelm-Höfe“ oder „Inselparkquartier“ lassen in der Wahrnehmung der Menschen viele kleine Einzelprojekte entstehen, die in Kombination mit den einladenden Zuschreibungen „Wohnen und Arbeiten zwischen den Kanälen“ oder „Das Dorf in der Stadt“ eine geradezu anheimelnde Anmutung bekommen.

Schöne Dinge aus dem Hygge-Prospekt

Angereichert sind die Pläne mit schönen Dingen wie Baugemeinschaften, generationenübergreifendem Wohnen, Zugängen zum Wasser, neuen Fahrradwegen und Fußgängerbrücken, Dachbegrünung, Kitas, Naturerlebnisspielplätzen und kleinen Ladenzeilen … es klingt wie aus dem neuesten Hygge-Prospekt für das freundliche grüne Bürgertum.

Durch diese Art der Darstellung wird der Eindruck einer kleinteiligen und besonders vorsichtigen Bebauung erweckt. Der Gesamtzusammenhang und die wahren Dimensionen geraten aus dem Blick.

Wer wollte bei soviel Bullerbü noch nach der Klimabilanz der jahrelangen Bauarbeiten fragen? Nach all dem Beton und Stahl und Glas, die dort verbaut würden? Nach der fragilen Beschaffenheit des Marschbodens und dem Grundwasserspiegel einer Marschinsel? Nach den fehlenden Plänen für einen leistungsstarken ÖPNV?

Ausmaße werden erfahrbar

Das nächste Baufeld (Blick vom Vogelhüttendeich nach Süden).

Mit einer Fahrradtour entlang der drei geplanten Quartiere an der sogenannten Nord-Süd-Achse zwischen Spreehafen und Wilhelmsburger Rathaus wollen die Waldretter:innen vor allem Ausmaße erfahrbar machen: Das Ausmaß an Bodenversiegelung, das Ausmaß an Naturzerstörung und das Ausmaß an Landschaftseingriffen, die die Umsetzung der Pläne tatsächlich bedeuten würden.

Gerade anhand des Beispiels „Nord-Süd-Achse“ können die Teilnehmer:innen die Umwälzungen, die jene großdimensionierten Bauprojekte mit sich bringen, schon sehr gut erkennen: Die vorbereitenden Maßnahmen und die Baugrunderschließung für das „Rathausviertel“ und das „Elbinselquartier“ haben zwischen Jaffe-Davids-Kanal und Aßmannkanal bereits tiefe Spuren hinterlassen.

Eintauchen in die Natur

Am Ende der Tour dürfen Augen und Herz sich dann beim Anblick des noch winterlich ruhenden Wilden Waldes ganz im Norden des Reiherstiegviertels erholen. Wir lassen die gerodeten Bäume und Büsche, die zerstückelten Kleingärten und die planierten Flächen hinter uns und tauchen ein in die Entstehungsgeschichte und ungezügelte Natur des letzten Waldes im Bezirk Hamburg-Mitte. Nach der Reise durch die Baustellenwüste wird umso spürbarer, wie wichtig und unverzichtbar dieser Wald ist.

Der Wilde Wald im Februar 2019.

Hundert Prozent Wald für zehn Prozent Wohnungen?

Doch auch der Wilde Wald ist von der Rodung und Bebauung bedroht. Dort soll das „Spreehafenviertel“ („Neue urbane Nachbarschaften“) entstehen, das dritte neue Wohngebiet an der „Nord-Süd-Achse“. Tausend Wohnungen sind dort geplant. Das sind zehn Prozent der Gesamtzahl aller derzeit geplanten Wohnungen.

Flutgedenken im Wilden Wald, Februar 2019.

An dieser Stelle stellen die Waldretter:innen die Frage:
Hundert Prozent Wald für zehn Prozent Wohnungen – ist es das wert?
Kann das richtig sein?
Was denkt ihr?

Fahrradtour entlang der Wilhelmsburger „Nord-Süd-Achse“
Sonnabend, 25.2.2023, 15 Uhr
Treffpunkt: Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen/Umwelt und Energie, Neuenfelder Str. 19, 21109 Hamburg
Endpunkt: Wilder Wald am Ernst-August-Kanal
Dauer: ca. 2 h
Bitte an wetterfeste Kleidung denken. Ein Heißgetränk ist sicher auch nicht schlecht!

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Sigrun Clausen

Wenn sie nicht am Nachbarschreibtisch in ihrer Schreibstube arbeitet oder in der Natur herumlungert, sitzt sie meist am Inselrundblick. Von ihm kann sie genauso wenig lassen wie von Wilhelmsburg.

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